Soziale Landwirtschaft - Auszeithöfe in Bayern
Ausgangssituation
Bayern ist ein Agrarland mit ca. 100.000 vorwiegend klein- und mittelständischen landwirtschaftlichen Betrieben. „Die Ergebnisse einer noch unveröffentlichten Studie der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) zu Strukturdaten der landwirtschaftlichen Diversifizierung (Einkommenskombinationen) in Bayern, basierend auf einer Veröffentlichung von Spreidler, Beinert (2020) ergab, dass etwas 66 % der landwirtschaftlichen Betriebe in Bayern auf mindestens ein zweites wirtschaftliches Standbein setzen, wie z.B. erneuerbare Energien, Landwirtschaftsnahe Dienstleistungen, Direktvermarktung, Tourismusangebote und Erlebnisangebote auf dem Hof.“ 1
So sind viele Betriebe auf der Suche sich zu diversifizieren. Auch die Soziale Landwirtschaft wurde 2010 in Bayern als mögliche Einkommenskombination (EKK) der Landwirtschaft vorgestellt. 2 Soziale Landwirtschaft gab es früher auf vielen Bauernhöfen, in Dörfern, Klöstern und in Sozialeinrichtungen für Menschen mit Behinderung. Im Auftrag des Bayerischen Staatsministerium für Landwirtschaft und Forsten wurde 2014 die xit-Studie „Soziale Landwirtschaft in Bayern – eine praxisorientierte Bestandsaufnahme“ 3 erstellt, die in dem Bereich Soziale Landwirtschaft große Wertschöpfungspotenziale sah.
Definition Soziale Landwirtschaft
Als Soziale Landwirtschaft definierte Bayern „die Betreuung und Beschäftigung von Personen mit besonderen sozialen Bedürfnissen in der Landwirtschaft, ländlichen Hauswirtschaft, im Forst und Gartenbau mit dem Ziel, eine individuelle, adäquate Lebensführung beim Nutzer zu fördern und eine verlässliche Wertschöpfung in Form von Einkommen und/oder Arbeitsleistung für den landwirtschaftlichen Betrieb zu erzielen“ . Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe erarbeitete einen Leitfaden “Soziale Landwirtschaft“ 4, der grundsätzliche Überlegungen beschrieb, in vielfältige Möglichkeiten der Sozialen Landwirtschaft einzusteigen. Ein Flyer „Soziale Landwirtschaft – eine Perspektive für Ihren Betrieb“ 5 wurde vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erstellt.
Verein Soziale Landwirtschaft Bayern e.V.
Der Verein Soziale Landwirtschaft Bayern e.V. (Verein Soz. Ldw.) (www.soziale-landwirtschaft-bayern.de) wurde 2018 mit 29 Mitgliedern bestehend aus aktiven Landwirten, Sozialen Einrichtungen, landwirtschaftlichen Berufsverbänden und Interessierten gegründet. Aktuell zählt der Verein über 80 Mitglieder.
Vereinsprojekt Netzwerk der Auszeithöfe
Um die Soziale Landwirtschaft bekannter zu machen und Landwirten zu demonstrieren, dass mit einem kleinen niedrigschwelligen Angebot in die Soziale Landwirtschaft einzusteigen ist, initiierte der Verein 2023 ein Netzwerk von 18 Bauernhöfen in Nord- und in Südbayern, die Senioren, Demenzkranke und deren pflegende Angehörige an einem Nachmittag für zwei Stunden auf ihren Hof einladen. Dieses Angebot wurde von den teilnehmenden Bauernhöfen als Auszeithöfe für Senioren, Demenzkranke und deren pflegenden An- und Zugehörige benannt. Da diese Netzwerke an einem Wettbewerb des Radiosenders br2 „Gutes Beispiel“ teilnahm und unter 235 Bewerbungen den 3. Platz belegte, erfuhren die Auszeithöfe ein starkes mediales Marketing. Weitere 16 Bauernhöfe wollen diese Diversifizierung ab Herbst 2024 auch anbieten.
Beschreibung des Angebots
Die Besucher tauchen bei den Auszeithöfen in die Welt eines Bauernhofes mit allen Sinnen ein. Sie haben Kontakt zu Tieren, fühlen den samtweichen Kopf eines Pferdes oder spüren die raue Zunge eines Kalbes, streicheln ein Huhn oder eine Katze, riechen an Kräutern oder an alten Bauernrosen, beobachten das Arbeiten am Melkstand oder betrachten die heutige Technik auf dem Hof, hören das Wiehern eines Pferdes oder die freundliche Stimme der Bäuerin. Die Besucher können auch kleine Geschenke wie ein Heusäckchen oder ein Kräutersalz selbst basteln bzw. mischen. Die Senioren und Demenzkranke werden emotional berührt und freuen sich an diesen Erlebnissen, da dies häufig Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugendzeit weckt.
Die Besuchergruppe sitzt nach diesem Erlebnisprogramm bei Kaffee und Kuchen gemütlich zusammen. Die pflegenden Angehörigen tauschen Erfahrungen aus und fühlen sich unter Gleichgesinnten verstanden. Sie nehmen eine wohlverdiente Auszeit von ihren häufig anstrengenden Tagen der Pflege ihrer Angehörigen. Immerhin werden über 80 % der Senioren und Demenzkranken zuhause gepflegt.
Die Gruppe der Senioren, Demenzkranken und pflegende Angehörige soll max. 12 – 14 Personen umfassen.
Förderung der Auszeithöfe
Gleichzeitig mit der Netzwerkgründung der Auszeithöfe stellte der Verein Soz. Ldw. im Juni 2023 einen Förderantrag beim Bayerischen Demenzfonds, um die Dienstleistung der Auszeithöfe der Netzwerke vergüten zu können.
Im Oktober 2023 wurden die Bewilligungsbescheide des Bayerischen Demenzfonds offiziell mit Politprominenz überreicht und 18 Höfe konnten ihre Dienstleistung als Auszeithöfe öffentlich machen.
Netzwerk der Auszeithöfe
Der Verein Soziale Landwirtschaft vernetzte die Auszeithöfe, damit sie zusammen die Bevölkerung auf dieses niedrigschwellige Angebot der Sozialen Landwirtschaft aufmerksam machen können. Ein Netzwerk von je 9 Auszeithöfen wird eher als ein einzelner Hof mit diesem Angebot wahrgenommen.
Für Nord- und Südbayern wurde je ein Flyer mit einer kurzen Beschreibung des Angebots und den Adressen der Auszeithöfe zur Öffentlichkeitsarbeit gedruckt. Die Auszeithöfe müssen ihr Angebot regional selbst bewerben. Sie wenden sich an kommunale Seniorenbeauftragte des Landkreises oder an soziale Einrichtungen wie z.B. die Alzheimer Gesellschaft, die Caritas, Seniorenheime oder Mehrgenerationenhäuser.
Ausstattung und Angebotsgestaltung
Jeder Auszeithof soll über einen Aufenthaltsraum, Sanitärräume und ein Handwaschbecken mit Einmalhandtücher verfügen. Empfehlenswert ist, dass jede Auszeitbäuerin ihr Angebot im Besonderen das Angebot von Kaffee und Kuchen mit dem zuständigen Gesundheitsamt bespricht, um die hygienischen Anforderungen zu erfüllen. Geeignete Kuchen sind Käsekuchen, Rührkuchen oder gebackene Obstkuchen.
Möglich ist eine finanzielle Entschädigung der Dienstleistungen dieser Auszeithöfe auch durch Spenden, die der Verein vom Bayerischen Bauernverband und einer Gruppe von Landfrauen aus der Region Pfaffenhofen sowie der Stumpf-Stiftung.
Bei allen Auszeithöfen sind vorrangig Bäuerinnen also die Frauen der Höfe aktiv.
Auszeithof als Diversifizierung
Die Soziale Landwirtschaft und somit das Angebot eines Auszeithofes ist ein eigenes Unternehmen. Es ist eine mögliche Diversifizierung bzw. Einkommenskombination (EKK) eines landwirtschaftlichen Betriebes. Um dieses eigene Unternehmen aufzubauen, sind mehrere Vorüberlegungen unabdingbar.
Das wichtigste Kriterium für das Betreiben einer EKK ist die freie Arbeitszeit der bäuerlichen Familie. Eine Person muss sich intensiv der EKK widmen. Sie benötigt Zeit, um zuerst zu überlegen, welche Art der Sozialen Landwirtschaft für sie selbst, für ihre Ausbildung, Qualifikation und Neigung geeignet erscheint. Ein Auszeithof wäre verglichen mit anderen Möglichkeiten der Sozialen Landwirtschaft wie z.B. Servicewohnen auf dem Bauernhof eine weniger arbeitsintensive EKK. Es ist vorteilhaft, im Internet zu recherchieren, was gibt es bereits, und welche Beispiele könnte ich kontaktieren, um mich mit den Betreibern auszutauschen. Das betriebsindividuelle Unternehmen muss konzipiert werden. Häufig muss mit allen Familienmitgliedern das Unternehmen besprochen werden. Denn die Qualität einer EKK ist von allen Familienmitgliedern abhängig. Jedes Familienmitglied muss sich bei einer EKK der sozialen Landwirtschaft wohl fühlen. Nur wenn alle Familienmitglieder an einem Strang ziehen und hinter der EKK stehen, ist eine Qualität der EKK erreichbar und der Auszeithof wird erfolgreich sein.
Falls spezielle Baumaßnahmen für einen Gemeinschaftsraum, sanitäre barrierefreie Anlagen sollte beim zuständigen Amt für Landwirtschaft bezüglich einer finanziellen Investitionsförderung angefragt werden. Die Anfrage muss vor jeglicher Baumaßnahme gestellt werden.
Fachliche Ausbildung und Qualifizierung
Häufig ist die qualitative Basis für dieses Angebot die Ausbildung als Hauswirtschaftsmeisterin oder eine Ausbildung in einem sozialen Beruf. Manche Auszeitbäuerinnen absolvieren eine Qualifizierung der Akademie für Diversifizierung5, einer Einrichtung der staatlichen Landwirtschaftsverwaltung zur Weiterbildung von landwirtschaftlichen Unternehmerinnen und Unternehmern. Eine 13-tägige Qualifizierung ist das BZE-Seminar (Betriebsentwicklungsseminar) zum/r Erlebnisbauer bzw. – bäuerin mit dem Ziel ein betriebsindividuelles Konzept für den Hof auszuarbeiten (www.diva.bayern.de).
Manche Auszeithöfe können zusätzliche Qualifikationen als Tier gestützte Therapeutin und/oder als Alltagsbegleiterin vorweisen.
Vergütung der Auszeithöfe
Was erhalten die Auszeithöfe für die Stunden der Entspannung und des Erlebnisses für die ältere Besuchergruppe? Vergütet werden müssen nicht nur die Bereitstellung von Räumlichkeiten und deren Ausstattung sondern vor allem die Arbeitszeit, die für die Organisation, die Vor- und Nachbereitung, das Marketing und einer innovativen Neugestaltung des Angebotes notwendig sind. Es wird angenommen, dass dafür pro Angebot mit ca. 6 – 7 Stunden Arbeitszeit gebunden sind.
Die qualifizierten Auszeitbäuerinnen erhalten für einen Nachmittag für die ca. 10 – 14 köpfige Besuchergruppe der Senioren, Demenzkranken und pflegenden Angehörigen 160 Euro. Eine evtl. mithelfende Person erhält für diesem Nachmittag zusätzlich 20 Euro. Kaffee und Kuchen bezahlen die Besucher selbst.
Gesellschaftspolitische Bedeutung
Da die Bevölkerungsgruppe der älteren Menschen aufgrund der demografischen Entwicklung stetig zunimmt, ist das Angebot der Auszeithöfe ein wichtiger Beitrag zur Entlastung der pflegenden Angehörigen und eine willkommene ereignisreiche Freizeit für Senioren und Demenzkranke. Für die Landwirtschaft ist das Angebot als Auszeithof ein zusätzliches Einkommen. Ein ausreichendes Familieneinkommen trägt zur Existenzsicherung unserer bayerischen Landwirtschaft bei. Es gewinnen beide Parteien, Besucher und Landwirte oder wie kurz zusammengefasst, dies ist eine echte Win-Win-Situation.
1 Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft: Praxishandbuch, S. 11
2 Aussage Dr. Viktoria Lofner-Meir, MR a.D.
3 xit-Studie: https://www.lwf.bayern.de/mam/cms01/landwirtschaft/dateien/zusammenfassung_bestandsaufnahme-soziale-landwirtschaft_xitgmbh.pdf
4 Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft: Leitfaden: Soziale Landwirtschaft, November 2016 Soziale Landwirtschaft – Publikation - LfL (bayern.de):
5 Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus | Akademie Diversifizierung (bayern.de)